An einem Startup-Event in Biel habe ich folgenden Satz vor einigen Jahren zum ersten Mal gehört:
"Wenn man wüsste, was mit einer Firmengründung und -Führung alles auf einen zukäme, würde man gar nicht erst beginnen."
Meine Begeisterung für den Gedanken ein Unternehmen zu starten, welches dem Schweizer Gesundheitswesen mit moderner Software auf die Sprünge hilft, vermochte diese Vorwarnung nicht einzuschränken. Nichtsdestotrotz habe ich mich in den letzten 1.5 Jahren oft an sie erinnert.
Der Techie-Fehler
Als wir healthinal im Februar 2018 gründeten, war das ein grossartiges Gefühl. Da waren wir, ein vierköpfiges Entwicklungsteam mit über 10 Jahren Erfahrung und die Welt hatte auf uns, unser Produkt und unser agiles Vorgehen gewartet. Gemeinsam hatten wir uns vorgenommen, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu revolutionieren.
So haben wir mit jugendlichem Eifer in einem halben Jahr einen ersten Ansatz für eine Applikationssuite für Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation zwischen Gesundheitsdienstleistern und Patienten über deren Smartphone entwickelt. Dabei setzten wir alles daran, einen für den Patienten einfachen Authentifizierungsprozess anhand von QR-Codes ohne Login zu entwickeln und über kryptografische Verfahren sicherzustellen, dass die übermittelten Daten weder von healthinal selber noch von einer dritten Partei gelesen werden können.
Als datenschutzsensible Individuen war uns letzteres speziell wichtig und wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass Gesundheitsinformationen einzig für Patienten und die behandelnde Institution einsehbar sein sollten. Software, die Zugriff durch unberechtigte Dritte ermöglicht oder Business Modelle, bei welchen Datenanalysen integraler Bestandteil sind, halten wir in dieser Kommunikation für fehl am Platz. Leider sind sich für beides viele Firmen nicht zu schade.
So entwickelten wir einen verschlüsselten Datenkanal, über welchen Patienten beliebige Informationen wie bspw. Formulare, Textnachrichten oder Messdaten mit einer medizinischen Institution sicher austauschen können.
Parallel zum Development begannen wir, bei verschiedenen Entscheidungsträgern aus dem ambulanten und stationären Bereich mit unserer Produktidee vorstellig zu werden. Es zeigte sich, dass viele der Gesprächspartner grosses Interesse an der B2C-Kommunikation hatten.
Im vertieften Austausch mit potenziellen Kunden vor Ort wurde uns aber bald klar, dass die Einführung eines solchen Produktes verschiedene substanzielle Herausforderungen mit sich bringt. Infolgedessen begannen wir, strukturierte Interviews mit Hausärzten, Spezialisten, Spitalärzten, CEOs und CIOs von Spitälern, Krankenversicherungen und Heimen durchzuführen. In diesen Interviews befragten wir Sie zu den verschiedenen Themen in Bezug auf ihre Arbeit, gerade aber auch auf ihren täglichen Umgang mit Software. Weiter folgte dann jeweils eine Präsentation mit unserer angedachten Lösung. Darauf stellten wir Fragen, inwiefern so ein Produkt in ihren Augen Sinn machen würde, holten weitere Ideen und Anregungen ein, diskutierten eine Anwendung in ihrem Betrieb und versuchten im Gespräch das Optimierungspotenzial und die Zahlungsbereitschaft zu eruieren.
In über 80 Interviews und einigen Follow-Up-Meetings wurde damit bis Ende 2018 unter anderem Folgendes klar:
B2C-Kommunikationsprozesse sind oft noch in den Kinderschuhen
Auch wenn sich im Bereich der Patientenportale aktuell viel tut, ist für viele der Betriebe noch unklar, welche Informationen genau ausgetauscht werden sollen und wie die betrieblichen Prozesse dafür abgebildet werden müssen. Aus diesem Grund sind mehrere Projekte nach kurzer Zeit wieder ins Stocken geraten, da sich Institutionen intern nicht darüber einig werden konnten, welcher Prozess wie priorisiert und ggf. auch angepasst werden sollte.
Datensicherheit nicht in diesem Mass im Fokus
Das von uns entwickelte Verfahren ist bezüglich Sicherheit und Datensparsamkeit wahrscheinlich kaum zu übertreffen. Jedoch ist dieser Unterschied zwischen unserer Lösung und anderen, vielmehr plattformbasierten Angeboten für Ärzte und Personal nur schwer nachvollziehbar. Potenzielle Kunden taten sich infolgedessen schwer mit den Preisen, welche dieser Mehraufwand aufgrund unserer Architektur mit sich bringt.
Grosse Differenzen bez. Anforderungen an B2C-Kommunikation
Anforderungen an B2C-Kommunikation sind von Institution zu Institution unterschiedlich. Jedes Haus und jede Praxis hat andere Vorstellungen, wie diese Kommunikation aussehen sollte und welche Funktionalitäten Patienten und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden sollen. Einer unserer Interviewpartner hat das mit “It’s like herding cats” sehr treffend beschrieben.
Ein einheitliches Produkt zu entwickeln stellt somit eine grosse Herausfor-derung dar.
Stationär sind Decision Cycles zu lange
Stationäre Einrichtungen hatten meistens grosses Interesse an unserer Lösung. Bis jedoch erste gemeinsame Schritte für ein Projekt gemacht werden konnten, zogen meist Monate ins Land. Die Prozesse in den so gestarteten Projekten waren dann ebenfalls häufig sehr langwierig und zeitkritische Entscheidungen dauerten oft Wochen. Damit wurde uns klar, dass die Schweizer Spitallandschaft leider noch nicht sehr agil unterwegs ist.
Luiza Dobre vom Start-up komedhealth hat da ähnliche Erfahrungen gemacht, wie sie in einem Interview am Swiss Health Care Startups Public (SHS Public) am 20. Juni 2019 sagte. Laut ihr müsse man vom Erstkontakt mit einem Krankenhaus bis zum laufenden Betrieb mit einer Dauer von ca. 2 Jahren rechnen. So gestaltet sich die Innovation für stationäre Anbieter natürlich schwierig, sowohl für Start-ups als auch die Häuser selber.
Ambulant ist Zahlungsbereitschaft zu niedrig
Im ambulanten Bereich sollte da die Entscheidungsfindung schneller abgewickelt werden können. Auch bei ihnen, beispielsweise Hausärzte oder Dermatologen, war grosses Interesse am digitalen Datenaustausch mit Patienten vorhanden, insofern bereits elektronisch dokumentiert wurde. Jedoch wird so ein Kommunikationsmittel vielmehr als ein Add-on für das bereits tagtäglich benutzte Praxisinformationssystem (PIS) verstanden. In dieser Grössenordnung bewegt sich auch die Zahlungsbereitschaft. Weiter schafft die Lösung im Praxisbetrieb nur dann einen Vorteil, wenn sie eine tiefe Integration ins verwendete PIS aufweist. Für einen neuen Player, welcher auf keinen bestehenden Kundenstamm zurückgreifen kann, ist es mit diesen Preisen schwierig, einen akzeptablen Business Case zu gestalten.
Nur ein Anbieter von vielen
Das vor kurzem von Stefan Koller und Matthias Mettler ins Leben gerufene Projekt Health-Trends verzeichnet zum aktuellen Zeitpunkt über 150 Digital Health Start-ups in der Schweiz. Davon bieten 14 Unternehmen Lösungen im Bereich B2C-Kollaboration an. Dabei sind die Angebote aus dem Ausland, gerade auch aus Deutschland, noch gar nicht enthalten. Da liegt es auf der Hand, dass Spitäler und Ärzte mit der Auswahl, Priorisierung und (Pilot-)Projektierung kein leichtes Spiel haben.
Pivot
Anhand der durch die Interviews erarbeiteten Learnings haben wir uns entschieden, unser initial geplantes Projekt zu pausieren und unseren Fokus anders auszurichten.
Vor zwei Jahren hatten wir noch sehr wenig Ahnung davon, wie das Schweizer Gesundheitswesen und ihre Softwareindustrie tickt. Inzwischen haben wir da einiges dazugelernt. Mit den durchgeführten Interviews konnten wir zahlreiche interessante Persönlichkeiten und ihre Einstellung zum System kennenlernen, sowie auch ihre Pains und Innovationsideen in Bezug auf IT und Software aggregieren. Neben vielen interessanten Ideen für weitere Projekte ist uns dabei etwas speziell ins Auge gestochen.
Pull > Push
Ausnahmslos alle Ärzte und andere Interviewpartner sind sich einig, dass die Zukunft digital ist. Dabei haben sie richtig viele Anforderungen und Ideen an bestehende und noch zu entwickelnde Lösungen. Diese sind für Softwareentwickler oftmals nicht auf den ersten Blick augenfällig und erfordern viel Verständnis der meist individuell gestalteten medizinischen und administrativen Prozesse. Damit ist die Chance, dass wir als junge Softwareingenieure mit unserer eigenen Idee das Gesundheitswesen retten, ziemlich klein — Medizininformatikstudium hin oder her.
Mit dieser Erkenntnis haben wir die Stossrichtung von healthinal komplett angepasst. Wir wollen niemandem mehr eine von uns entwickelte Lösung aufdrücken und damit eine sogenannte PUSH-Strategie fahren. Vielmehr nutzen wir die bestehenden Ideen, Anforderungen und Möglichkeiten und entwickeln im nahen Austausch mit Spezialisten, welche den klinischen Alltag täglich meistern, prozess- und menschenorientierte Lösungen die wirklich gebraucht werden.
Dabei konzentrieren wir uns darauf, was wir am besten können: Software entwickeln, also Web-, App- und Cloud-Applikationen auf dem modernsten Stand, mit begeisternder User-Experience (UX) und ansprechendem User-Interface (UI). Dabei unterstützen wir Gesundheitsdienstleister und Softwarehäuser im Gesundheitswesen als Berater, Projektleitung oder als Softwareentwickler.
Unsere Mission: Am Menschen orientierte, prozessintegrierte, performante & optisch ansprechende Software ins Gesundheitswesen bringen.
Erste Erfolge
Seit unserem Switch auf diese Dienstleistungen Ende 2018 durften wir bereits Teil von verschiedenen interessanten IT-Projekten im ambulanten und stationären Sektor sein, sowie verschiedene Web- und App-Lösungen für etablierte Software-Anbieter entwickeln.
Rückblick
Würden wir, wenn wir mit der Zeitmaschine an den Anfang von 2018 zurückreisen könnten, alles nochmals genau gleich machen? Sicher nicht. Würden wir dennoch nochmals beginnen? Sofort. Und zwar mit mehr Elan und Vorfreude denn je. Die Medizin ist ein so vielfältiges und spannendes Umfeld. Und trotz vieler verschiedener Interessensgruppen und komplexen Zusammenhängen gibt es ein riesiges Potenzial für Software, die das Erlebnis im Gesundheitswesen für Mitarbeiter und Patienten einfacher, sicherer und angenehmer macht. Und genau dafür schlägt unser Herz!