Goldratts Engpasstheorie und der Corona-Virus

Analyse, Lupe, Innovation

Goldratts Engpasstheorie und der Corona-Virus

Ein Beitrag von unserem Geschäftsführer und Leiter KMU-Coaching Roger Neuenschwander.

Eliyahu M. Goldratt hat mit seinem 1984 veröffentlichten Buch «Das Ziel – ein Roman über Prozessoptimierung» einen Bestseller gelandet. Das Buch handelt von Alex Rogo. Er ist Standortleiter der Firma UniCo. Der Hauptsitz beauftragt ihn, seinen Standort wieder zu beleben. Sollte dies nicht gelingen, droht die Schliessung des Standorts. Alex Rogo hat drei Monate Zeit, den Standort wieder auf Vordermann zu bringen. Durch Zufall trifft Alex auf seinen alten Physiklehrer Jonah, der ihm hilft, einen Weg aus der Krise zu finden.

In Zeiten des Coronavirus ist die Geschichte von Alex Rogo und seinem alten Physiklehrer Jonah aktueller denn je.

Alex Rogo’s Prozessoptimierung

In einer Diskussion fordert Jonah die konventionellen Denkmuster von Alex heraus und bittet ihn, zunächst einmal das eigentliche Ziel seines Standorts zu finden und dem Begriff Produktivität auf den Grund zu gehen.

Alex findet folgendes heraus:

Das Ziel einer gewinnorientierten Firma besteht darin, Geld zu verdienen. Jede Aktivität muss sich an diesem Ziel ausrichten. Folglich sind nur diejenigen Aktivitäten produktiv, welche die Firma diesem Ziel näherbringen.

Alex stellt fest, dass ihn seine bestehenden Führungsinstrumente in die falsche Richtung führen. Er braucht ein neues Führungssystem, dass ihm ermöglicht, die Firma auf das neue Ziel auszurichten. Aus einer weiteren Diskussion mit Jonah entstehen folgende drei elementaren Führungsindikatoren:

  1. Durchsatz (+) ist der Wert, mit welchem das System Wert (Geld) durch Verkäufe generiert
  2. Bestände (-) sind die Werte (Geld), welche das System in die Beschaffung von Gegenständen investiert hat und welche zum späteren Verkauf verarbeitet werden sollen
  3. Betriebskosten (-) sind die Werte (Geld), welche das System dafür verwendet, aus Beständen Durchsatz zu generieren.

Nachdem Alex nun eine neue, zielorientierte Perspektive für sein System gefunden hat, stellt er dennoch fest, dass sich die Systemleistung nicht wesentlich verbesserte. Er sieht sich gezwungen, nach weiteren Erklärungen zu suchen.

Wenige Tage später begleitet er seinen Sohn bei einem Wanderausflug der Pfandfinder-Gruppe. Er stellt fest, dass alle in einem unterschiedlichen Tempo unterwegs sind und sich jeweils grosse Lücken zwischen einzelnen, kleineren Gruppen bilden. Obwohl einzelne Gruppenmitglieder rasch vorwärtskommen, ist die Gesamtleistung der Gruppe doch eher bescheiden. Alex stellt überraschende Parallelen zwischen der Wandergruppe und seinem Unternehmen fest: Die Gesamtleistung des Systems ist nur so gut, wie das schwächste Glied in der Kette. Das schwächste Glied in der Kette ist jeweils der limitierende Faktor des Gesamtsystems. Es bildet den Engpass. Wenn er also den Engpass ausfindig machen und optimieren kann, wird das die Gesamtleistung des Systems beeinflussen.

Alex macht sich auf, den Engpass seiner Produktion zu eruieren. Er lastet den Prozess zunächst voll aus und fokussiert seine Prozessoptimierungen konsequent auf den Engpass. Dadurch kann er die Gesamtleistung steigern. Passend zu dem neuen Führungssystem hat er nun ein Instrument, um das System ganzheitlich zu steuern und so den Turnaround zu schaffen.

Was hat das nun mit der Corona-Krise zu tun?

Die Corona-Krise hat die Nachfrage resp. die Bestellungen zum Erliegen gebracht. Entsprechend wird der Durchsatz im Unternehmen gebremst oder sogar unterbrochen. Auf der anderen Seite sind die Bestände und die Betriebskosten nach wie vor für die Situation vor der Krise ausgelegt.

Der dringende Engpass besteht aktuell bei den zusammengebrochenen Absätzen resp. Verkäufen. Um diese Krise zu bewältigen, haben Unternehmer*innen zwei grundsätzliche Handlungsoptionen:

  1. Sie können kurzfristig neue Absatzkanäle erschliessen und den Durchsatz wieder steigern. Das gelingt, indem die Parameter Produkte (Angebot), der Vertriebskanal (analog zu digital) oder die Zielgruppe (Kunden) angepasst oder ganz verändert werden. Eine Gärtnerei kann beispielsweise einen Lieferservice aufbauen und Bestellungen telefonisch oder online entgegennehmen. So können sich die Kunden zuhause weiterhin an den schönen Blumen erfreuen.
     
  2. Gelingt dies nicht, muss unbedingt auf die beiden Parameter Bestände und Betriebskosten achtgegeben werden resp. müssen diese Kosten kurzfristig angepasst werden:
    1. Das bedeutet, die Supply Chain aktiv managen und die Ausgaben in Bestände und Projekte unter Kontrolle halten. Bestelleingänge verschieben oder mit den Lieferanten längere Zahlungsziele verhandeln. Falls nötig müssen laufende Investitionsprojekte zudem pausiert werden, um nicht unnötige Liquidität zu verspielen.
    2. Bei den Betriebskosten bietet sich das Angebot der Kurzarbeit an, um Betriebskosten zu senken und die Betriebskosten kurzfristig am geringeren Durchsatz anzupassen. Kurzarbeit erfordert von der gesamten Organisation eine ausserordentliche Leistung. Vor allem die Themen Informationsfluss, Kommunikation, Transparenz und Führungsprozesse müssen hier speziell beachtet werden. Die Organisation braucht nun klare, verständliche Ziele: Überwachen und kommunizieren Sie über die Zielerreichung in kurzen, regelmässigen Kommunikationszyklen. Kommunizieren Sie einfach und klar. Sorgen Sie dafür, dass Sie effiziente Führungsprozesse etabliert haben, um Probleme und Zielabweichungen rasch zu erkennen und Informationen klar und verständlich zu übermitteln.

Die aktuelle Corona-Krise bedeutet für uns alle eine grosse Herausforderung und Unsicherheit. Auf der anderen Seite ist die Krise aber auch eine grosse Chance. Die Chance besteht darin, dass deine Organisation einem massiven Stresstest unterzogen wird. Ungelöste Probleme treten in dieser Phase unweigerlich an die Oberfläche. Nutze die Chance, die Probleme nun zu beheben und komme gesund und gestärkt aus der Krise.