Resilienz im Privat- und Arbeitsleben

Resilienz im Privat- und Arbeitsleben

Wissen

Resilienz und Widerstandskraft stärken mit 9 Erkenntnissen aus der Stress Forschung. Ein Beitrag von Christian Lundsgaard-Hansen, Inhaber von Sparkr und be-advanced Startup-Coach.

Bevor wir es mit einer Virus-Pandemie zu tun bekommen hatten, befanden wir uns unlängst schon in einer Stress-Pandemie. Die Resultate der Stressforschung sind beachtlich: Jedes Jahr nimmt der empfundene Stress zu. Und das obwohl sich die Arbeitszeit in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg halbiert hat und in weiten Teilen der Welt der Wohlstand ansteigt.

Mit der Zunahme der Belastung, steigt auch das Bedürfnis nach hilfreichen Erkenntnissen und Verhaltenstipps aus der Stressforschung – wie ein Blick in die Ratgeber-Ecke aller Buchläden dieser Welt zeigt.

Anstatt Ratgeber von selbsternannten Lifestyle oder Business Coaches zu lesen, habe ich mit einem führenden Forscher auf dem Gebiet gesprochen und das Gespräch hier als Podcast zur Verfügung gestellt.

Resilienz: Druck standhalten, Schäden reparieren, Belastung vorbeugen

Der Begriff der Resilienz stammt ursprünglich aus der Materialforschung. Übertragen auf den Menschen oder auf Organisationen kann Resilienz übersetzt werden mit der Fähigkeit, einem Druck oder einem Stress standhalten zu können, allfällige Schäden reparieren zu können oder von vornherein der übertriebenen Belastung vorzubeugen.

In diesem Sinne klingt Resilienz wie ein Wundermittel für die (mentale) Gesundheit und allgemeine Widerstandsfähigkeit. Wer wünscht sich nicht, im Arbeitsleben dem Stress besser standhalten zu können oder diesen gar nicht erst aufkommen zu lassen? Wer wünscht sich nicht, möglichst unbeschadet und gesund durch einen belastenden Schicksalsschlag oder Lebensabschnitt hindurchzukommen?

Die gute Nachricht ist, dass jeder Einzelne seinen Beitrag zu einer gesteigerten Resilienz beitragen kann. So zeigt die Stress- und Resilienzforschung klar, dass beispielsweise das Verspüren und Erschaffen von Sinnhaftigkeit und Bedeutung oder das Pflegen von (geografisch) nahen Beziehungen die Belastbarkeit und die Chance auf Regeneration stark erhöhen. Um es mit den Worten von Nietzsche zu sagen: «Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.»

Wie wir Resilienz aufbauen können: 9 Faktoren aus der Stress Forschung

Eine Koryphäe in der Resilienzforschung ist Prof. Gregor Hasler – ein Psychiater, Psychotherapeuten und Neurowissenschafter, der gegenwärtig an der Universität Fribourg in der Schweiz forscht. Er ist auch der Autor des lesenswerten, informativen Buches ‘Resilienz: Der Wir-Faktor’ (Orell Füssli Schweiz; Amazon Deutschland) und der Gast dieser Sparkr Podcast Episode.

Aus seiner Forschung weiss Halser, dass Resilienz vor allem durch eigenes Verhalten gestärkt wird und nicht nur von einer inneren Haltung. Um die Resilienz zu stärken sind wir gefordert, unser Verhalten anzupassen und Hasler identifiziert mehrere Verhaltensfaktoren, die man als Privatperson oder Arbeitgeber beeinflussen kann, um die die Resilienz im Privat- respektive Arbeitsleben zu stärken:

Das soziale Netzwerk

Die grosse Bedeutung des sozialen Netzwerks hat mit unserem Bindungsbedürfnis zu tun. Unser Bindungsbedürfnis erschöpft sich aber auch relativ schnell. Digitale Beziehungen schaffen ein neues Problem: Aktivität in den sozialen Medien erschöpft das Beziehungsbedürfnis, ohne einen Beitrag zur lokalen sozialen Integration zu leisten. Deshalb sind Menschen, die viel Zeit mit sozialen Medien verbringen, schlecht gegen Stress gewappnet. Die Energie, die wir in digitale Beziehungen investieren, fehlt für Investitionen in lokale, konkrete Beziehungen. Dies ist ein entscheidender Treiber der aktuellen Resilienz-Krise, denn Resilienz ist ein lokales Phänomen. Es lohnt sich also, in direkte Kontakte zu Menschen zu investieren, die in unserer Nähe leben, arbeiten und wohnen. 

Die richtige Art des Wettbewerbs

Wettbewerb kann zu Höchstleistungen anspornen, aber nur, wenn er nicht übertrieben wird. Jeder braucht ein Team, indem Kooperation wichtiger ist als Kompetition. Sicherheit und Vertrauen kann kompetitive Strukturen in kooperative Beziehungen umwandeln.

Der realistische Optimismus

Positive Gefühle, Heiterkeit und Dankbarkeit sind zweifellos ein Segen. Optimismus meint aber noch etwas mehr, nämlich die Überzeugung, dass die Zukunft gut sein wird. Dieser Überzeugungsoptimismus ist allerdings nur dann hilfreich, wenn er realistisch ist. Von naivem Optimismus ist abzuraten.

Die Art der Anspannung und Entspannung

Die Fähigkeit zu Anspannung ist zentral für die Resilienz. Daueranspannung untergräbt jedoch die Resilienz und macht anfällig für psychische und körperliche Krankheiten. Um das zu verhindern, brauchen wir «Ent-Spannung»: Zeit für uns, Zeit zum Abschalten.

Die richtige Art der Belohnung

Fragen Sie sich bei jeder Belastung, was die entsprechende Belohnung ist. Wählen Sie Herausforderungen, die langfristig und nicht ausschliesslich materiell belohnend sind. Bei der Wahl der Belohnung gibt es zwei wichtige Kriterien. Kurzfristig versus langfristig: Eine typische Belohnung nach einem harten Tag bei der Arbeit ist das Bier am Abend. Das hat den Vorteil, dass es immer zur Verfügung steht und dass man es sich unabhängig von der Belastung immer gönnen kann. Abhängigkeit und Bierbauch sind die Nachteile. Menschen, die einseitig auf kurzfristige Belohnungen setzen, haben eine geringe Resilienz. Solche Belohnungen haben auch ein Suchtpotential. Schulabschlüsse, berufliche Meilensteine, Visionen, Freundschaften und Paarbeziehungen gehören zu den langfristigen Belohnungen, welche die Resilienz stärken.

Der Umgang mit der Zeit

Multitasking, E-Mail-Alerts und Mobiltelefone stören nicht nur die aktuelle Gegenwärtigkeit, sie senken auch langfristig die Fähigkeit, sich auf etwas konzentrieren zu können. Fragen Sie sich, wo Sie zeitlich jetzt gerade sind. Versuchen Sie, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Setzen Sie Computer und Smartphones so ein, dass sie Ihren Flow nicht stören.

Die eigene Identität

Identität hilft, sich selber und seine Interaktionen mit der Umwelt zu verstehen. Sie hilft auch, Erfahrungen Bedeutung zu geben. Das alles trägt wesentlich zur Selbst-Kontrolle bei. Menschen, die ihre Emotionen im Griff haben, sind resilienter als solche, die von ihren Gefühlen überschwemmt werden. Fragen Sie sich: Was will ich wirklich? Welcher Gruppe fühle ich mich zugehörig? Was ist mein Traum? Welche Art Mensch will ich sein, wenn ich diese Welt einst verlasse?

Das Selbst

Aus dem Selbst schöpft der moderne Mensch Sinn und Wert. Deshalb ist es so wichtig geworden, das Selbst zu trainieren. Die wirksamste Methode der Selbst-Fitness sind Selbst-Wirksamkeitserfahrungen. Damit sind Erfahrungen gemeint, bei welchen man aufgrund eigener Tätigkeiten und Kompetenz eine positive Veränderung der Umwelt bewirkt, selbst in schwierigen Situationen. Ein anderes wichtiges Konzept ist die Selbst-Verantwortung. In einer Krise ist es wichtig, sich um sich selbst zu sorgen, seine Leistungsgrenzen zu kennen und aktiv die Opferrolle zu verlassen. 

Die Körperpflege

Seien Sie jeden Tag mindestens 30 Minuten körperlich aktiv, vermeiden Sie industriellen Fastfood und ernähren Sie sich ausgewogen mit natürlichen Produkten.

Auf seiner Website, woher auch die obigen Punkte stammen und im Detail erläutert werden, schreibt Hasler zusammenfassend: «Resilienz ist die richtige Balance auf verschiedenen Dimensionen. Positive Gefühle sowie der Umgang mit Spannung und Widerspruch sind das Fundament der Resilienz, nicht aber ein naiver Optimismus. Durch soziale Medien werden lokale Beziehungen durch digitale und globale ersetzt. Ferner nehmen die kooperativen Beziehungen ab und die kompetitiven zu. Für beide Veränderungen ist unser Gehirn nicht gemacht. Deshalb müssen wir aktiv Gegensteuer leisten, in lokale Bezüge investieren und Kooperationen aktiv gestalten. Innere Unabhängigkeit, die Fokussierung auf den Augenblick, positive Identifikationen und körperliche Fitness sind zusätzliche Faktoren, die unsere Widerstandsfähigkeit nachhaltig stärken.»

Die Wachstumszone: Sinnstiftender Wettbewerb und Stress

Im ausführlichen Gespräch im Sparkr Podcast haben Gregor Hasler und ich über die oben genannten Punkte gesprochen und Anwendungsbeispiele im Privatleben wie auch in der Arbeitswelt diskutiert.

Besonders herausgestochen ist dabei das Konzept der Wachstumszone: Um Resilienz aufzubauen, ist es empfehlenswert, ein sinnstiftendes persönliches Wachstum anzustreben und zu erzielen – das kann im Beruf sein, bei einem passionierten Hobby oder in einem anderen Bereich. Um weiter zu kommen, müssen wir uns Stress aussetzen, und zwar möglichst in Form von zeitlich begrenzten und bewusst gewählten Herausforderungen (und vielleicht gelegentlichen Überforderungen).

Der Vergleich mit dem Krafttraining liegt nahe: Wer Kraft und Muskeln aufbauen will, muss sich gezielt belasten und überlasten. Der springende Punkt, um diesen Stress nicht zur nachhaltigen Belastung werden zu lassen, ist die bewusst gewählte Wachstumszone (ein bestimmter Muskel) und eine zeitlich limitierte, überschaubare, gezielte Belastung (das wöchentliche Krafttraining im Gym).

Boreout: das unterforderte Geschwister des Burnouts

Das richtige Mass an Stress ist also nicht, jeglichen Stress zu vermeiden. Mit dieser Strategie erläge man dem Stillstand. Aus Erfahrung weiss Hasler, dass anhaltende Unterforderung gleichermassen belastend wirkt wie die konstante Überforderung. Deshalb muss im Berufs- und Privatleben neben dem Vorbeugen eines Burnouts auch dem Verhindern eines «Boreouts» grosse Beachtung geschenkt werden. Ein Balanceakt.

Resilienz im Arbeitsleben: Firmenkultur, Mitarbeitergespräche und Führungspersonen

Selbstredend sind die oben genannten Erkenntnisse aus der Resilienzforschung auch für den Arbeitsalltag entscheidend. Wer in seiner Arbeit viel Sinn und Bedeutung erkennt, wer in einem starken Team mit guten Beziehungen arbeiten darf und wer mit einer reifen Führungsperson zusammenarbeitet, ist belastbarer, leistungsbereiter und loyaler als ein Arbeitnehmer, der all diese Resilienz Faktoren am Arbeitsplatz vermisst.

Im Podcast Gespräch geht Hasler ins Detail, wie Resilienz am Arbeitsplatz gestärkt werden kann. Die Datenlage ist eindeutig: Kompetente Führungspersönlichkeiten haben einen starken positiven Effekt auf die Reduktion von Krankheitstagen und Abwesenheiten – und damit auf zwei sehr signifikante Kostenfaktoren eines Arbeitgebers.

Um die kostspieligen Bore- und Burnouts zu verhindern, ist es gerade auch im Arbeitsleben wichtig, sich mit Wachstumszonen auseinanderzusetzen. Hier sind Vorgesetzte und Mitarbeitende gleichermassen gefragt und das Mitarbeitergespräch ist besonders geeignet, um Wachstumszonen zu definieren. Das Mitarbeitergespräch, das bereits in jeder Firma als normaler Prozess etabliert ist, kann mit der Resilienz Thematik angereichert und weiterentwickelt werden.

Von Menüplänen und Schlafproblemen: Die Wichtigkeit von Vertrauen, Kommunikation, Feedback-Kultur und aufrichtigem Interesse

Mitarbeitergespräche sollten nicht nur für die Evaluation von Leistungszielen oder fürs Feedback zu der neuen Kaffeemaschine oder den Menüplänen genutzt werden. Es ist wichtig, diese Gelegenheit des persönlichen Austausches auch hinsichtlich der Resilienz Steigerung voll auszunutzen: Bei welcher Tätigkeit bekommen Sie mehr Energie zurück als Sie hineinstecken? Wo gehen Sie gerne die Extrameile, weil Sie das Thema begeistert? Was bereitet Ihnen an Ihrem Hobby Freude? Was möchten Sie im Verlauf des nächsten Jahres lernen und wo möchten Sie ein Interesse oder eine Fähigkeit weiterentwickeln? Wie lassen sich diese Wachstumszonen mit jenen der Firma in Verbindung bringen? Leidet Ihr Schlaf, wenn Sie eine stressige Phase bei der Arbeit erleben? Ich habe den Eindruck, dass ich Sie nicht mehr so oft in der Kaffeepause antreffe. Teilen Sie diesen Eindruck und woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Sie können sich vorstellen, dass der Informations- und Wahrheitsgehalt der Antworten auf solche exemplarischen Fragen eine Vertrauensbeziehung, Empathie und gewisse Kommunikationsfähigkeiten voraussetzen. Diese können nicht auf Knopfdruck hergestellt werden, sondern hier sind anhaltende, kontinuierliche Investitionen gefragt.

Gerade wer in Krisenzeiten resilient sein will, muss davor investieren. Diese Investitionen rentieren, denn sie Vermindern die Fluktuation der Belegschaft, reduzieren Krankheitstage, steigern Motivation und Leistungsbereitschaft. Im Podcast Gespräch diskutieren Prof. Hasler und ich diverse Ideen, wie solche Investitionen in die Resilienz getätigt werden können.

Der Arbeitsplatz ist keine Wohlfühloase

Bei alle dem ist wichtig hervorzuheben, dass das Stärken der Resilienz nicht gleichzusetzen ist mit der Schaffung einer Wohlfühloase bei der Arbeit. Und auch nicht jedes Thema muss «psychologisiert» werden. Es geht letztlich darum, sich aufrichtig für das physische und psychische Wohl der Mitarbeitenden zu interessieren, bei der Vereinbarkeit der persönlichen Weiterentwicklung und jener der Firma reinen Wein einzuschenken und mit Rücksicht auf wichtige Resilienz Faktoren eine gute Arbeitsumgebung zu erreichen. Das ist im gegenseitigen Interesse von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Über Prof. Gregor Hasler

Prof. Gregor Hasler ist ein renommierter Stressforscher, Psychiater, Psychotherapeuten und Neurowissenschafter. Gegenwärtig forscht er an der Universität Fribourg in der Schweiz. Neben zahlreichen Forschungspublikationen hat Gregor auch ein sehr lesenswertes Buch publiziert mit dem Titel „Resilienz: Der Wir-Faktor - Gemeinsam Stress und Ängste überwinden“. Ein Buch mit Erkenntnissen und Empfehlungen, die in der heutigen Zeit für alle relevant sind.

Über den Autor

Christian Lundsgaard-Hansen ist Inhaber von Sparkr, einer unabhängigen Agentur für Change Maker. Der Schwezer ist auch als strategischer Sparring Partner für Entscheidungsträger sowie als Podcaster tätig. Im Sparkr Podcast spricht er mit weltweit führenden Köpfen zu Themen wie Leadership, Technologie und Innovation. Dazu gehören u.a. Trainerlegende Ottmar Hitzfeld, Marketing-Experten von Apple oder Experten für Künstliche Intelligenz.